Ernst Krenek DER DIKTATOR

Staatstheater Kassel, Premiere: 12. Juli 2014

 

BESETZUNG

 

Musikalische Leitung: Alexander Hannemann

Inszenierung: Lisa Marie Küssner

Bühne: Isabell Heinke

Kostüme: Ulrike Obermüller

Dramaturgie: Jürgen Otten

 

Der Diktator: Tomasz Wija

Charlotte: Jaclyn Bermudez

Maria: Anna Nesyba

Offizier: Kwonsoo Jeon

Page: Tabea Götting

 

Cantamus-Chor:

Krankenschwestern: Alexandra Aykaeva, Vera Häupl,Theresa Mohr, Valentina Turturo, Hannah Vogel, Cosima Weinschenk

Hotelpersonal: Melissa Gerecitano, Tabea Götting, Leonie Helferich, Janntje Quathamer, Marieke Weynans

 

 

KRITIKEN

Kritik HNA vom 14.07.2014:

 

DAS BÖSE VERFÜHRT

 

Das Kasseler Theater-Jugendorchester-Projekt mit Kurzopern von Erik Satie und Ernst Krenek 


Der Dirigent als Scharfrichter: Beim 10. Theater-Jugendorchester-Projekt des Staatstheaters Kassels ist dies die besondere Überraschung. Sie amüsierte bei der Premiere im nicht ganz vollen Schauspielhaus. Es waren spannende 50 Minuten mit zwei Kurzopern: Von Erik Satie, dem lakonischen Franzosen, gab es „Geneviève de Brabant“, die Legende der tugendhaften Genoveva und des Bösewichts Golo. Von Ernst Krenek, dem expressiven Österreicher, war „Der Diktator“ zu erleben. Kreneks 1926 entstandene Oper spielt in einem Schweizer Kurort und erzählt von der Verführungskraft des Bösen. Maria, die Frau eines im Krieg erblindeten Offiziers, möchte sich an dem Diktator als dem Zerstörer ihres Glücks rächen. Doch als sie die Pistole gegen ihn richtet, verfällt sie seinem Charisma – mit tödlichem Ausgang für sie selbst. Regisseurin Lisa Marie Küssner hat beide Stücke verklammert, indem sie von den Personen der Krenek-Oper ausgeht. Saties Legende wird zu einem gleichsam improvisierten Märchen. Maria (Anna Nesyba) liest ihrem blinden Mann (Kwonsoo Jeon) vor: „Es war einmal eine holde Jungfrau mit dem Namen Genoveva…“ 
Daraus entspinnt sich eine turbulente Geschichte auf der von Isabell Heinke gestalteten Bühne, die mit Marmorblöcken einer mondänen Terrasse gleicht. Toll spielen und singen die Mitglieder des Cantamus-Jugendchors, eine Schar aus Soldaten, Hotelpagen und Krankenschwestern (Kostüme: Ulrike Obermüller). Dirigent Alexander Hannemann – sonst präzise am Pult des TJO – schwingt als Henker das Beil, bis ihm Nesyba auf den Rücken springt. Genoveva (raffiniert aufgeteilt zwischen Nesyba und Jaclyn Bermudez) ist gerettet. Der Intrigant Golo (eindringlich kalt: Tomasz Wija) wird bestraft. Kopf ab! In der musikalisch stärkeren Krenek-Oper glänzen die vier Profisänger noch mehr. In der Verführungsszene zwischen dem Diktator und Maria lassen es die auch stimmlich großartigen Wija und Nesyba knistern. Das TJO mit mehr als 50 jungen Instrumentalisten lässt zwar Steigerungsmöglichkeiten in der Intonation erkennen, sorgt aber für einen dramatischen Soundtrack. Lebhafter Beifall.

Georg Pepl

 

Kritik aus Der neue Merker vom 14.07.2014:

 

ZWEI OPERNRARITÄTEN AUS KASSEL: "GENEVIÈVE DE BRABANT" VON ERIK SATIE UND "DER DIKTATOR" VON ERNST KRENEK (PREMIERE: 12. Juli 2014)

 

Im Rahmen des seit zehn Jahren laufenden Projekts „Theater-Jugendorchester“ brachte das Staatstheater Kassel im Schauspielhaus einen Operndoppelabend mit zwei kaum gespielten Stücken zur Aufführung: „Geneviève de Brabant“ von Erik Satie und „Der Diktator“ von Ernst Krenek.

Das 1899 uraufgeführte dreiaktige Werk (Libretto: Lord de Chaminot) des französischen Komponisten Erik Satie (1866 – 1925), der mit Debussy und Diaghilew befreundet war und ab 1918 die Gruppe „Les Six“ leitete, wurde eine „miniature marionette opéra“ genannt. In ihr wird die alte Sage von Genoveva abgehandelt: Sie ist mit dem Pfalzgrafen Siegfried verheiratet, der vom Gewehr seines Haushofmeisters Golo getroffen wird. Golo verliebt sich in Geneviève, die ihn jedoch entrüstet abweist. Aus Rache will er sie vernichten, doch in Gestalt einer Hirschkuh, die imstande ist, auch ihr Kind zu ernähren, wird ihr göttliche Hilfe zuteil. Happyend: Siegfried wurde nicht getötet, nur verwundet und rettet schließlich Geneviève vor dem Unhold Golo.

Ernst Krenek (1900 – 1991) zählt zu jenen österreichischen Komponisten der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, die vor den Nationalsozialisten fliehen und nach Amerika emigrieren mussten und nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich nicht mehr Fuß fassen konnten. Ihre Werke wurden in der Heimat kaum noch gespielt. Seine Einakter-Trilogie („Der Diktator“, „Das geheime Königreich“, „Schwergewicht oder Die Ehre der Nation“) wurde 1928 in Wiesbaden uraufgeführt.

Die Handlung des Einakters „Der Diktator“, dessen Libretto der Komponist selbst verfasste, in Kurzfassung: Maria verwandelt sich von der potentiellen Tyrannenmörderin in eine willfährige Geliebte des Diktators. Sie hatte ihn aufgesucht, um an ihm Rache für ihren im Krieg erblindeten Ehemann zu nehmen, liegt aber bald in seinen Armen. Als Charlotte, seine von ihm seit langem gedemütigte Frau, die zu Boden gefallenen Pistole aufnimmt und Maria, die vom Diktator als Schutzschild missbraucht wird, erschießt, verwandelt sich der Diktator binnen Sekunden in einen kühl kalkulierenden Herrscher und seine despotische Handlungsweise bricht wie eine Fassade zusammen.

Lisa Maria Küssner inszenierte beide Werke sehr realistisch – die Gewehr- und Pistolenschüsse ließen das Publikum regelrecht zusammenzucken – und mit exzellenter Personenführung. Die kleine Bühne im Untergeschoß des Schauspielhauses wurde von Isabell Heinke durch verschiebbare Wände und Türen gut genutzt, die der heutigen Zeit entsprechenden Kostüme entwarf Ulrike Obermüller.

Die Rollen waren in beiden Opern mit demselben Sängerensemble besetzt. Ausgezeichnet die Sopranistin Anna Nesyba, die im ersten Stück sowohl die Erzählerin – gemeinsam mit dem CANTAMUS- Jugendchor – wie auch Geneviève (in einigen Szenen abwechselnd mit der Sopranistin Jaclyn Bermudez) gab. In Kreneks Oper sang und gestaltete sie eindrucksvoll die Rolle der durch „Amor“ verhinderten Tyrannenmörderin Maria, die schließlich als Schutzschild des Diktators ihr Leben lässt.

Der koreanische Tenor Kwonsoo Jeon stellte im ersten Werk Siegfried dar und im zweiten den blinden Offizier, der verzweifelt seine Ehefrau Maria sucht. Sein am Schluss der Oper in höchsten Tönen immer eindringlicher gesungene Ruf „Maria“ hallt in meinen Ohren jetzt noch nach!

Die Rollen der beiden Bösewichte gestaltete der polnische Bassbariton Tomasz Wija stimmlich wie darstellerisch sehr ausdrucksstark. War in Saties Oper mehr seine schauspielerischen Qualitäten als hinterhältiger Golo gefragt, konnte er in Kreneks Werk den Diktator facettenreicher singen und spielen.

Die Titelrolle in Saties Oper Geneviève de Brabant verkörperte die Sopranistin Jaclyn Bermudez, die in Kreneks Werk Der Diktator dessen vernachlässigte Frau Charlotte spielte, die zur Mörderin wird. Beide Rollen füllte sie stimmlich wie schauspielerisch eloquent aus.

Ausgezeichnet agierte auch der CANTAMUS-Jugendchor, dem in der Satie-Oper erzählender Charakter zukam und im Krenek-Einakter Soldaten und Krankenschwestern darzustellen hatte (Einstudierung: Maria Radzikhovskiy). Den jungen Chormitgliedern war ihre Freude und Begeisterung am Spielen anzusehen!

Das mit knapp sechzig Personen stark besetzte Theater-Jugendorchester stand unter der Leitung von Alexander Hannemann. Dass die jungen Musikerinnen und Musiker die Partituren beider Werke so professionell zum Besten gaben, ist gewiss einer intensiven Probezeit mit dem Dirigenten zuzuschreiben. Das bereits seit zehn Jahren bestehende Projekt „Theater-Jugendorchester“ scheint ein Erfolgsprodukt zu sein, zu dem man dem Staatstheater Kassel gratulieren muss.

Das Premierenpublikum anerkannte die Leistungen am Schluss der Vorstellung mit nicht enden wollendem Applaus für alle Mitwirkenden und für das Regie-Team.

Udo Pacolt

 

Kritik in der Juli-Ausgabe des Kulturmagazins Kassel:

 

DIE MAGIE DER MACHT

ZWEI KURZOPERN DES KASSELER THEATER-JUGENDORCHESTER-PROJEKTS

 

Mit dem Operndoppelabend feierte das 10. Theater-Jugendorchester-Projekt des Staasttheaters Kassel am 12.Juli im Schauspielhaus Premiere. Mit „Geneviève de Brabant“ von Erik Satie und „Der Diktator“ von Ernst Krenek standen zwei wenig bekannte Kurzopern auf dem Programm, die die altbekannten Sujets von Macht und deren Missbrauch, von hingebungsvoller Liebe und der Verführngskraft des Bösen variieren. Saties 1900 entstandenes Werk, das aus drei etwa achtminütigen Akten besteht, wurde posthum 1983 uraufgeführt. Kreneks Einakter feierte 1928 in Wiesbaden Premiere. Der Österreicher, 1925 bis 1927 Assistent des Opernintendanten Paul Bekker in Kassel, schrieb auch die Texte zu seiner dramatisch-expressiven Musik.

Die Werke sind durchaus gegensätzlich: Hier die Legende von der schönen, tugendhaften Genoveva, die dem Bösewicht Golo widersteht, woraufhin dieser bittere Rache nimmt. Dort Maria, Frau eines im Gaskrieg erblindeten Offiziers (Kwonsoo Jeon), die sich am Diktator rächen will, weil dieser ihr Glück zerstört hat, am Ende aber seinem Charisma erliegt und selbst sterben muss.

In der dramaturgischen Bearbeitung von Jürgen Otten und der Inszenierung von Lisa Marie Küssner gelingt es, beide Kurzopern überzeugend in knapp einer Stunde zu verklammern. Saties musikalisch schwächere Legende bildet eine märchenhafte Rahmenhandlung; im Mittelpunkt des Geschehens stehen die Personen der Krenek-Oper. Auf der von Isabell Heinke schlicht mit Marmorblöcken gestalteten Bühne ist es nicht immer leicht, die raffiniert zwischen Anna Nesyba und Jaclyn Bermudez aufgeteilten Rollen der Geneviève und Maria auseinanderzuhalten. Dazu singen und spielen in beeindruckender Manier, mal als Soldaten und mal als Krankenschwestern verkleidet die Mitglieder des Cantamus-Jugendchores (Leitung: Maria Radzikhoovskiy).

Für Schmunzeln sorgt ein regieeinfall, bei dem Alexander Hannemann sein präzises und dynamisch effektvolles Dirigat für einen Scharfrichtereinsatz unterbrechen muss. In letzter Sekunde wird Genoveva vor dem Beil gerettet, der Intrigant Golo (mit furchteinflößender Kälte: Tomasz Wija) gerichtet. Kreneks facettenreiche Komposition erlaubt es, den vier Profisängern, auch stimmlich zu brillieren. Zwar im Bühnenhintergrund agierend, aber musikalisch im Fokus steht das fast 60-köpfige Projektorchester mit Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren, die in wochenlangen Proben auf die Premiere hingearbeitet haben. Da durchweg zu hören war, dass die Teenager unter Hannemanns Leitung über sich hinauswuchsen, ist manche Schwäche in der Intonation nicht der Rede wert. Echter Stolz und frohe Erleichterung stand in die Gesichter der Akteure geschrieben, als der verdiente Applaus der Zuschauer anhob.

Albrecht Weisker