Gaetano Donizetti DON PASQUALE

Staatstheater Kassel, Premiere: 11. Juni 2011

 

TRAILER

https://www.youtube.com/watch?v=XC1cUqTp8_8


BESETZUNG

 

Musikalische Leitung: Marco Comin

Inszenierung: Lisa Marie Küssner

Bühne: Matthieu Götz

Kostüme: Sabine Böing

Dramaturgie: Dr. Ursula Benzing

 

Don Pasquale: Krzysztof Borysiewicz/Mario Klein

Dr. Malatesta: Geani Brad

Ernesto: Dong Won Kim/Johannes An

Norina: Ingrid Fröseth/Lin Lin Fan

Notar: Michael Boley/Henning Leiner

 

Showassistenten:

Laura Torrico/Carmen Schilling

Evelyn Wilhelm/Nicole Dörnbach

Paul Skerra/Milan Matouchek

 

 

KRITIKEN

Vorbericht HNA vom 8.6.2011:

 

DON PASQUALE DARF INS FERNSEHEN

GAETANO DONIZETTIS BELIEBTESTE KOMISCHE OPER HAT AM SONNTAG IN KASSEL PREMIERE

 

Kassel. Die schrillsten Liebesabenteuer werden heute nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern in aller Öffentlichkeit ausgelebt - zum Beispiel im Fernsehen. Schrill ist auch die Geschichte vom geizigen und heiratswütigen Junggesellen Don Pasquale in der gleichnamigen komischen Oper (Opera buffa) von Gaetano Donizetti (1797-1848). Der aus Bergamo stammende italienische Komponist feierte mit dem 1843 in Paris uraufgeführten Dreiakter einen seiner größten Erfolge.

Es ist eine derbe Intrige, mit deren Hilfe Don Pasquale von seinem späten Heiratswunsch kuriert wird: Norina, die Don Pasquale mit einem fingierten Ehevertrag angetraut wird, macht diesem das Leben mit aufreizender Verschwendungssucht und durchaus nicht ganz gewaltfrei das Leben zur Hölle. Norinas Ohrfeige für Don Pasquale ist denn auch ein dramatisch-musikalischer Wendepunkt - das Spiel ist zu weit gegangen. Denn am Ende ist der Senior froh, die Furie an seinen Neffen Ernesto loszuwerden, womit das Paar, das sich wirklich liebt, zusammenfindet.

Für die Kasseler Neuinszenierung des „Don Pasquale“, die am Samstag Premiere hat, holt Lisa Marie Küssner in ihrer ersten großen Opernregie diese Geschichte ins Heute - und dahin, wo sie heute am ehesten spielen würde, ins Fernsehen.

Es ist eine Art Beziehungsshow, in der Don Pasquale seine Frau sucht und dann überwiegend bittere Erfahrungen machen muss. Für Lisa Marie Küssner ist es allerdings wichtig zu zeigen, dass diese Oper zwar derbe Späße enthält, aber kein Klamauk ist: Vielmehr möchte sie deutlich machen, dass alle Figuren dieser Geschichte ihre Abgründe haben. Dafür steht auch die zwar temporeiche, dabei aber differenzierte und hintergründige Musik Donizettis.

Eine Besonderheit dieser Inszenierung ist es, dass die Bühne als TV-Studio mit Zuschauern ausgelegt ist. Neben dem Chor können jeweils 18 Opernbesucher auf der Bühne in diesem „Studio“ Platz nehmen. Aktiv ins Geschehen eingreifen muss man aber nicht. Eine solche Bühnenkarte kann für acht Euro gekauft werden - allerdings nicht mehr für die Premiere.

Werner Fritsch

 

Kritik Göttinger Tageblatt vom 17.6.2011:

 

DIEBISCHE FREUDE AN VERSPIELTEN BOSHEITEN

"DON PASQUALE“ AN DER STAATSOPER KASSEL

 

Über „Junge Hühner, alte Gockel und den Untergang des Abendlands“ sinniert aktuell Wolfgang Michal in einem Internet-Blog namens Carta. Lassen wir mal den Untergang des Abendlands weg, dann haben wir die Geschichte von Gaëtano Donizettis Oper „Don Pasquale“ auf den Punkt gebracht.

 

Kassel. Auch wenn es bei Don Pasquale zumindest anfangs nicht die Hormone sind, die in ihm die Sehnsucht nach spätem Eheglück aufsteigen lassen, sondern eher die Sorge, sein Geld könne in falsche Hände geraten.

Die Oper ist die letzte Neuproduktion des Kasseler Staatstheaters dieser Spielzeit. Inszeniert ist sie leicht, locker, unbeschwert: ein Stück heiteres Sommertheater, das Regisseurin Lisa Marie Küssner auf die Bühne gebracht hat.

Ihr Ansatz ist so einfach wie wirkungsvoll. Sie stellt die Geschichte in ein Fernsehstudio, macht aus der Commedia dell’arte ein Spiel im Spiel. Das funktioniert vielleicht nicht in jedem Moment ganz bruchlos. Aber die Hinzufügung der zweiten Ebene bringt fast von selbst neue komische Situationen hervor, die immer wieder Vergnügen bereiten.

Auf der Bühne hat Bühnenbildner Matthieu Götz die übliche TV-Zuschauertribüne (für die man auch Karten kaufen kann: mit acht Euro ist die Bühnenkarte nicht teurer als ein Kinobesuch) gestellt, dazu die übliche Showtreppe, ein paar Möbelstücke, sonst nichts. Studioatmosphäre eben. In dieser Umgebung bringen uns die vier Protagonisten die kurzweilige Geschichte vom geprellten alten Gockel nahe, dessen Sehnsucht nach Liebesglück durch den Sinneswandel seiner vermeintlichen Gattin – erst die Brave in Person, dann die Teufelin, die sein ganzes Geld zu verprassen droht – sich jäh in Verzweiflung verwandelt, so dass dem Glück der jungen Liebenden am Schluss nichts mehr im Wege steht.

Den alten Gockel Don Pasquale – in der Schlussszene in einem goldenen Rollstuhl – stattet Mario Klein mit hübschen eitlen Zügen aus und singt ihn mit tiefem, beweglichem, dafür nicht immer ganz durchdringendem Bass. Drahtzieher des Komplotts ist Doktor Malatesta, in Küssners Inszenierung eher ein Showmaster denn Comedia-dell’-arte-Arzt: angemessen durchtrieben und pfiffig dargestellt von Geani Brad. Mit großer Stimmkraft und ausgesprochen sportlich singt der aus Südkorea stammende Tenor Dong Won Kim den Ernesto. Doch alle Männer stellt Ingrid Frøseth als Norina bei Weitem in den Schatten – ihr leichter, heller Sopran schwingt sich schwerelos in die höchsten Lagen, dazu ist ihr Spiel herrlich durchtrieben, die diebische Freude an den verspielten Bosheiten steht ihr ins Gesicht geschrieben.

Der Leichtigkeit der Handlung entspricht die lockere, beschwingte musikalische Sprache, die Dirigent Marco Comin mit sicherer Hand seinem gut aufgelegten Orchester abfordert. Und auch der von Marco Zeiser Celesti einstudierte Chor passt sich dem Geist dieser Fernsehshow des 19. Jahrhunderts beweglich an.

Michael Schäfer

 

Kritik TLZ (Thüringer Allgemeine Zeitung) vom 13.Juni:

 

OPER IN KASSEL: ALTER GEIZKRAGEN SUCHT HERZBLATT.

AUF BRAUTSCHAU: DIE SUCHE NACH EINER JUNGEN EHEFRAU FÜHRT DEN ERGRAUTEN ZAUSEL DON PASQUALE INS FERNSEHEN

 

Voll Überschwang präsentieren sich Ensemble und Inzenierung von "Don Pasquale" am Staatstheater Kassel.

Kassel. Alter Sack sucht junges Ding. Diese prägnant formulierte Heiratsanzeige fasst kompakt zusammen, worum es sich in Gaetano Donizettis Oper "Don Pasquale" dreht: die späte Herzensangelegenheit eines geizigen Hagestolzes. Das Dramma Buffo feierte am Samstag im Staatstheater Kassel eine umjubelte Premiere, die zeigte, dass gute Unterhaltung nicht zwangsläufig teuer, jedoch perfekt gemacht sein muss. Diesem Anspruch wurden die launig eingestellten Hauptakteure mühelos spielend gerecht. Umwerfend gut passten sie in die von Lisa Marie Küssner pfingstlich geistvoll erleuchtete Inszenierung, die den Herzschmerz als Spiel im Spiel anlegte und Don Pasquale und seinen Anhang überraschend als Gäste in einer Fernsehshow Platz nehmen ließ.

 

Wie nuancenreich Kapellmeister Marco Comin Donizettis beschwingte Ouvertüre austariert hatte, wäre ums Haar von den auf der Bühne im dort improvisierten Fernsehstudio (Bühne: Matthieu Götz) wimmelnden Zuschauer-Choristen und dem alerten Conferencier, dem späteren Doktor Malatesta, überlagert worden. Doch blieb dem eigentlichen Publikum noch oft Gelegenheit, den wie ein Trampolin gespannten italienisch federnden musikalischen Unterbau des Staatsorchesters zu bestaunen. Auf dieser sicheren Unterlage war es dem sängerisch nahezu artistisch disponierten Quartett möglich, Donizettis halsbrecherische Partien mit forderndem Parlando, komplizierten Couplets und extremen Spitzen Salto um Salto anzugehen. Comin und seine Truppe fingen sie sicher wieder auf.

 

Tollkühner Sprung

Der in der Partitur angelegte und von dort geforderte Humor fand mit Krzysztof Borysiewicz in der Titelpartie eine vor Komik und Ideen nur so sprudelnde ideale Entsprechung. Der in der Figur vom grauen Spießer zum ergebenen Gatten und zum Wüterich changierende sonore Bass scheitelte sein schütteres Haar noch penibel, als er sich längst im Rampenlicht des tosenden Beifalls sonnen durfte. Auch Ingrid Frøseth als kesse Norina und einfältige Sofronia hatte vom Überschwang ihrer Rolle lange nicht genug. Die raffinierte kleine Schlange schwang ihre diversen Täschchen und Tücher (Kostüme: Sabine Böing) so fesselnd wie sie das Motto ihres jugendfrischen höhensicheren Soprans ausspielte. Ja, diese Norina kennt "die tausend Arten mit Männern umzugehn." Und ihr Freund Ernesto, der lässige coole metrosexuelle Neffe mit den angesagten Turnschuhen und Ohrstöpseln? Dong Won Kim verfügt über einen kräftigen Tenor, der sich umgekehrt proportional zu seiner Körpergröße verhält. Er hat auch den Mumm, nach beeindruckender Arie "In die Ferne" tollkühn von der Rampe zu springen - eine sportive Aktion, die dem Dirigenten gespielte Besorgnis übers Gesicht treibt. Geani Brad als Doktor Malatesta wirkt gegen diese stimmliche Übermacht vergleichsweise blass, seinen Bariton führt er oft non legato durch die turbulente Handlung, die nach der Pause in der witzigen Choreinlage (Leitung: Marco Zeiser Celesti) noch einen Zahn zulegt. Presto, presto! türmen sich Schuhschachteln über den genasführten Don Pasquale, der schließlich in einem goldenen Rollstuhl vorgeführt wird.

 

So passgenau sich die Vorabendserie "Herzblatt" in die Handlung einbauen lässt, so überzeugend lässt sich das Gitarren-Nocturno als Schlagerparade auf der Showtreppe mit funkelnden Sternen und Discoglimmer umschmelzen. Die abrupte Auflösung der ehelichen Foppnummer nimmt der Titelheld gelassen, von seinem amourösen Abenteuer ist er gründlich bedient. Reuig gibt er der Verbindung seines Neffen den Segen. Das finale "Bravo, bravo, Don Pasquale!" aber lässt sich vorbehaltlos auf das gesamte Ensemble ausdehnen.

 

Kritik HNA zur Wiederaufnahme vom 19.9.2011:

 

GLANZVOLLES DEBUT

 

LinLin Fan sang die Norina in der Donizetti-Oper „Don Pasquale“

Kassel. So leicht kann Oper sein: Einen glanzvollen Einstand hatte LinLin Fan bei der Wiederaufnahme von Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ am Samstag im Opernhaus. Norina, eine junge Witwe mit sprunghaftem Naturell, ist eine Paraderolle im Stimmfach des lyrischen Koloratursoprans.

Gefragt sind vokale Beweglichkeit und Höhensicherheit. Die 29-jährige Chinesin wusste damit zu begeistern.

LinLin Fan hat schon dem Jungen Ensemble der Semperoper Dresden angehört und ist seit Beginn der Spielzeit festes Ensemblemitglied des Kasseler Staatstheaters. Als Norina demonstrierte sie mit klar vernehmbarer Anmut, wie viel Spaß schnelle Tonfolgen und Spitzentöne machen können. Auch darstellerisch hatte die chinesische Schönheit viel zu bieten - sei’s als schüchterne Klosterschülerin, sei’s als Luxusgeschöpf.

Wieder dabei im Dramma buffo waren der bewährte Bass-Bariton Krzysztof Borysiewicz (Don Pasquale), der Tenor Dong Won Kim (Ernesto) und der Bariton Geani Brad (Doktor Malatesta). Dirigent Marco Comin und das Staatsorchester realisierten die Partitur mit Schliff. Und der Chor zeigte ebenfalls sein Vergnügen an Lisa Marie Küssners Inszenierung, die das Geschehen um den gefoppten Hagestolz als Fernsehshow aufzieht. Das Publikum im halbvollen Opernhaus goutierte den Abend mit rhythmischem Klatschen.

Georg Pepl

 

Kritik im Orpheus 1+2/2012

 

BEZAUBERNDE NORINA

 

Das Gewand ist neu – das Stück bleibt das alte: DON PASQUALE in einer Fernseh-Kuppelshow spielen zu lassen, tut Donizettis Meisterwerk nicht weh. Zumal wenn das mit so viel punktgenauem Spielwitz in Szene gesetzt wird wie von LISA MARIE KÜSSNER in ihrem Opernregie-Debüt. MATTHIEU GÖTZ hat das Fernsehstudio entworfen, auf dessen Zuschauerrängen auch ein Teil des Publikums Platz nimmt – zusammen mit dem von MARCO ZEISER CELESTI einstudierten famos singenden Chor, der immer wieder ins turbulente Bühnengeschehen einbezogen wird. Und SABINE BÖING schuf Kostüme, welche die Modesünden unserer Zeit aufs Korn nehmen. MARCO COMIN versetzt das Staatsorchester Kassel in Champagnerlaune, widmet sich ebenso liebevoll dem Belcanto. Das Ensemble wird angeführt von LINLIN FAN, die als bezaubernde Norina mit ihrem glockenhellen Sopran ein atemberaubendes Koloraturfeuerwerk abbrennt. Und sie spinnt wunderschöne Kantilenen, was auch für DONG WON KIM als Ernesto gilt, der über einen samtweichen, in der Höhe strahlenden Tenor gebietet. Als „Fernsehmoderator“ Malatesta ist GEANI BRAD genauso sicher im legato wie im parlando, über das auch KRZYSZTOF BORYSIEWICZ in der köstlich komödiantisch gestalteten Titelpartie mühelos verfügt.

 

Michael Arndt